Eine Marke kann nicht alles für jeden sein - fiktives Interview mit Werbeikone David Ogilvy
Fiktives Markeninterview im Mai 2010 - Er gilt als einer der bekanntesten und erfolgreichsten Werber weltweit.
Vor über einem Jahrzehnt
verstarb Werbeikone David Ogilvy (1911-1999). Was er uns hinterlassen hat sind nicht
nur großartige Werbeanzeigen, sondern auch brillante Bonmots und Reflexionen über erfolgreiche Markenführung.
Neben seinen beiden Buchklassikern Confessions of an Advertising Man von 1963 (vgl. unsere >> Rezension)
und Ogilvy on Advertising von 1983 zählt hierzu auch The Image of the Brand, eine bisher nur Insidern be-
kannte Rede, die Ogilvy 1955 vor der American Association of Advertising Agencies hielt, und in der er allen
kurzsichtig agierenden (Wettbe-)Werbern die Leviten las.
55 Jahre sind seitdem vergangen, wenngleich man meinen könnte, Ogilvy habe seine Gedanken erst vor kurzem
zu Papier gebracht. Markenexperte Karsten Kilian hat die wichtigsten Passagen des Redemanuskripts übersetzt
und daraus ein fiktives Interview gemacht, das vor wenigen Tagen in der Absatzwirtschaft erschienen ist.
Würde Ogilvy heute noch leben, so hätte er Kilians Fragen vermutlich wie folgt beantwortet:
Kilian: Herr Ogilvy, wie lautet Ihr kreatives Credo?
Ogilvy: Jede Werbung ist Teil der langfristigen
Investition in die Persönlichkeit der Marke.
Kilian: Was verstehen Sie genau darunter?
Ogilvy: Ich bin der Auffassung, dass jede Art der
Werbung als Beitrag zum Markenimage aufgefasst
werden muss – als Teil der langfristigen Investition
in die Reputation der Marke.
Kilian: Waren Sie schon immer dieser Überzeugung?
Ogilvy: Ich muss gestehen, dass ich meine Meinung hierzu geändert habe. Früher habe ich Werber verspottet,
die von langfristigen Effekten sprachen. Ich habe ihnen dann immer vorgeworfen, sich hinter langfristigen Effekten
verstecken zu wollen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie langfristige Effekte als Alibi benutzen würden – um ihre
Unfähigkeit zu verbergen, eine einzelne Werbeanzeige profitabel zu machen.
Kilian: Aber die Absatzzahlen geben Ihnen doch Recht!
Ogilvy: Nun ja, in einigen Fällen war das Resultat vielleicht ein temporärer Anstieg der Verkaufszahlen. Aber in fast
allen Fällen hat diese billige Art der Werbung den Marken, unabhängig von der Kampagnendauer, ein unheilbares
blaues Auge verpasst.
Kilian: Worin lag das Hauptproblem dieser Herangehensweise?
Ogilvy: Das wirklich Schlimme daran war die äußerst kurzsichtige Herangehensweise an Werbung. Die Verant-
wortlichen bauten keine Marken auf. Sie investierten kein Geld in Werbung. Sie gaben Geld aus. Sie handelten
kurzsichtig. Wenn man demgegenüber den von mir angesprochenen langfristigen Ansatz wählt, beantworten
sich viele der tagtäglich auftretenden Fragen wie von selbst.
Kilian: Woher aber weiß man, welches Image für eine Marke das richtige ist?
Ogilvy: Hierauf gibt es keine kurze Antwort. Unglücklicherweise kann uns Marktforschung hierbei kaum unter-
stützen. Stattdessen ist Urteilsvermögen gefragt. Ich stelle allerdings fest, dass immer weniger Marketingverant-
wortliche bereit sind, eine Entscheidung zu treffen. Sie verlassen sich immer häufiger zu sehr auf Forschungs-
ergebnisse.
Kilian: Wie war das damals bei der Zigarettenmarke Marlboro?
Ogilvy: Leo Burnett und seine Kollegen verließen sich auf ihr Urteilsvermögen als sie sich dafür entschieden,
welches Image sie der Marke Marlboro verleihen wollten – noch bevor sie erste Werbeideen entwickelten. Dabei
gingen sie ein Risiko ein, das heute nur noch wenige Werber einzugehen bereit sind. Sie haben sich dazu ent-
schlossen, dass Marlboro eine durch und durch männliche Persönlichkeit haben soll. Was für eine mutige
Entscheidung!
Kilian: Warum folgen nicht mehr Unternehmen Marlboros Beispiel?
Ogilvy: Ich habe den Eindruck, dass die meisten Hersteller nicht bereit sind, irgendeine solche Einschränkung
beim Image und der Persönlichkeit ihrer Marke zu akzeptieren. Sie möchten alles für jeden sein. Sie wollen, dass
ihre Marke zugleich eine männliche und eine weibliche Marke ist. Eine Marke für die oberen Zehntausend und zu-
gleich für die einfachen Leute. In ihrer Geldgier bekommen sie am Ende fast immer eine Marke, die überhaupt keine
Persönlichkeit hat – eine geschlechtslose Wischiwaschi-Marke.
Kilian: Sieht die werbliche Realität heute wirklich so düster aus?
Ogilvy: Ja. Es gleicht schon fast einem Wunder, wenn es ein Hersteller in seiner Werbung über eine ganze Reihe
von Jahren hinweg schafft, ein stimmiges Markenimage aufrecht zu erhalten. In der Vergangenheit war das nur
möglich, wenn eine starke Persönlichkeit auf Kunden- oder Agenturseite den gesamten Werbe-Output langfristig
dominierte. Denken Sie nur an all die Kräfte, die Jahr für Jahr dabei sind, die Persönlichkeit und das Image einer
Marke zu verändern. Die Markenverantwortlichen kommen und gehen. Die Fluktuation bei den Werbetextern, Art-
Direktoren und Kontaktern ist groß. Selbst die zuständige Agentur wird regelmäßig ausgetauscht.
Kilian: Was braucht es neben größerer Stetigkeit in der Markenverantwortung noch?
Ogilvy: Es braucht Mut, hartnäckige Entschlossenheit, Jahr für Jahr an einer schlüssigen kreativen Strategie fest-
zuhalten – und das bei all dem Druck, alle sechs Monate „mit etwas Neuem zu kommen“. Wir müssen uns bewusst
werden, dass jede Radiowerbung, jeder TV-Werbespot nicht ein einmaliger Schuss ist, sondern eine langfristige
Investition in die gesamte Persönlichkeit einer Marke.
Kilian: Wie aber bewahrt man eine einmal gewählte Markenidentität dauerhaft?
Ogilvy: Es hilft, wenn der Hersteller und seine Werbeagentur in weiser Voraussicht die Identität, die ihre Marke mit
der Zeit erlangen soll, als einfache Definition in Stein meißeln. Sobald sie über eine derartige Definition verfügen, fällt
es wechselnden Werbemanagern und neuen Agenturen schwerer, das Image der Marke zu verwässern. Deshalb
empfehle ich: Schreiben Sie eine Definition Ihrer eigenen Markenidentität nieder. Wiederholen Sie sie bei jeder Gele-
genheit. Sehen Sie zu, dass jeder der auch nur im Entferntesten mit Ihrer Kommunikation zu tun hat, sie versteht.
Und: Bleiben Sie dabei!
Kilian: Wie legt man eine solche Markenidentität fest?
Ogilvy: Glauben Sie mir, es ist alles andere als einfach, innerhalb einer Agentur oder in der Organisation eines
Kunden eine Übereinkunft zu treffen, welche Art von Markenidentität angestrebt werden soll. Viel zu oft stellt die
Markenidentität einen verschwommenen, kraftlosen Kompromiss dar.
Kilian: Was können Sie und Ihre Kollegen in der Werbebranche dagegen tun?
Ogilvy: Es ist ganz sicher an der Zeit, dass noch mehr von uns die Alarmglocken läuten lassen. Wir müssen unsere Kunden davor warnen, was mit ihren Marken passiert, wenn sie so viel Geld für Promotionspackungen und Gut-
scheinaktionen aufwenden, dass kein Geld mehr für Werbung übrig bleibt, mit der sie ihrer Marke eine Persönlich-
keit verleihen können. Gewiss, Absprachen bringen ihnen Regalflächen in den Läden und Sonderplatzierungen.
Aber der Preis dafür ist womöglich zu hoch.
Kilian: Welchen Anspruch haben Sie an sich und Ihre Kollegen und Kolleginnen?
Ogilvy: Wir müssen versuchen, bei unserer kreativen Verantwortung eine langfristigere und weitsichtigere Position
einzunehmen. Lassen Sie uns zehn Jahre vorausplanen. Lassen sie uns klar umrissene Persönlichkeiten für die
Marken unserer Kunden entwerfen. Lassen sie uns an diesen Persönlichkeiten festhalten ohne zu schwanken,
Jahr für Jahr.
Kilian: Worauf kommt es letztendlich an, Herr Ogilvy?
Ogilvy: Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass es fast immer die gesamte Persönlichkeit einer Marke
ist und nicht ein trivialer Produktunterschied, der über die letztendliche Position am Markt entscheidet.
Das vollständige Redemanuskript von David Ogilvy finden Sie >> hier
Das obige Interview in einer etwas längere Fassung als Download finden Sie >> hier
Die 10 besten Geständnisse
aus David Ogilvy's Buchklassiker
Confessions of an Advertising Man:
1. Any damn fool can put on a price reduction, but it takes brains and perseverance to create a brand.
2. Nobody has ever built a brand by imitating somebody else's advertising.
3. Good campaigns can run for many years without losing their selling power.
4. Never give up a campaign just because you have grown tired of it; housewives don't see your
advertisements as often as you do.
5. What really decides consumers to buy or not to buy is the content of your advertising, not its form.
6. You aren't advertising to a standing army; you are advertising to a moving parade.
7. Most of the campaigns which produce results never win awards, because they don't draw attention
to themselves.
8. Commercials should never be created in a committee. Compromise has no place in advertising.
9. It is easier to sell people with a friendly handshake than by hitting them over the head with a hammer.
10. Deals don't build the kind of indestructible image which is the only thing that can make your brand part
of the fabric of life.
Unsere Rezension von Confessions of an Advertising Man (1963) lesen Sie >> hier
|